METTEN Akademie: Kreative Stadtplanung in Zeiten leerer Kassen.

05.11.2013 Veranstaltungen

Kreative Stadtplanung in Zeiten leerer Kassen

Auch wenn die positiven Gewerbesteuereffekte in den letzten Jahren wieder mehr Spielraum in die öffentlichen Haushalte gebracht haben, so sind die Mittel für einen zukunftsgerichteten Städtebau in den meisten Kommunen doch eher knapp. Welche kreativen Ansätze gibt es, richtungsweisende Stadtentwicklung dennoch zu ermöglichen? Welche neuen Wege müssen Politik und Verwaltung beschreiten, um mit geringem Kapitaleinsatz groß angelegte Projekte realisieren zu können?

Prof. Wulf Daseking gab den Teilnehmern der Metten Akademie am 16.Oktober 2013 – über 130 Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten hatten sich zur Veranstaltung in Köln eingefunden – vielfältige Antworten zu diesen Fragestellungen sowie zahlreiche wertvolle Anregungen für die Planungsarbeit. Der erfahrene Stadtentwickler und Dozent (mit Lehraufträgen unter anderem an der Universität Freiburg und der Bartlett School London) gab in seinem Vortrag einen Überblick über die Tendenzen und Leitbilder der Stadtplanung, künftige Gestaltungsanforderungen und Finanzierungsmöglichkeiten. Als studierter Architekt und Stadtplaner war er von 1984 bis 2012 Leiter des Planungsamtes der Stadt Freiburg im Breisgau, wo er in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit das Gesicht der Stadt, die 2010 zur „European City of the Year“ gewählt wurde, maßgeblich mit- und weiterentwickelte – trotz leerer Kassen. Und die „Charta von Freiburg“ mit auf den Weg brachte, in der die Anforderungen an eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung und Stadtplanung skizziert werden.

Eine kompakte, vielfältige Stadt

Sein Verständnis von Stadt formuliert Prof. Wulf Daseking wie folgt: „Seit Beginn meiner Tätigkeit als Planer setze ich mich für die Entwicklung einer kompakten, durchmischten Stadt, der Stadtentwicklung entlang des öffentlichen Nahverkehrs, der dezentralen Stadtentwicklung, der Stadt der kurzen Wege in sozialer Ausgewogenheit – mit differenzierten Bürgerbeteiligungsverfahren – ein. Die Planung muss dabei das Spannungsfeld von der Idee bis zur Ausführung beinhalten. Der Stadtplaner als Generalist. Planung ist dabei nicht ausschließlich eine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Haltung. Es geht darum, die Ökonomie, die Ökologie, die kulturelle Vielfalt und vor allem die soziale Frage in eine Ausgewogenheit zu bringen. Stadtplanung ist im hohen Maße Sozial- und Umweltplanung. Die demographischen Veränderungen und die damit verbundenen sozialen Fragen werden zusammen mit dem ökologischen Stadtumbau die Schwerpunkte künftiger Stadtplanung bilden.“

Dass gute Stadtplanung nicht immer und vordergründig eine Frage des Geldes ist, betonte Prof. Wulf Daseking gleich zum Einstieg in seinen Vortrag. „Man braucht Kompetenz, Zeit und Überzeugungskraft, dann kommen Ideen voran,“ zeigte er sich überzeugt. Und: „Man muss unbequem sein, vorausschauende Visionen entwickeln, an Zielen festhalten.“ Pionier zu sein, lohne sich – gute Stadtplanung brauche Phantasten. „Stehen Sie als Stadtplaner für eine Überzeugung – und lassen Sie sicht nicht die Investoren- oder Developer-Meinung aufzwingen“, appelliert Prof. Wulf Daseking an die Teilnehmer der METTEN Akademie. Elementar für die Umsetzung guter Ideen seien außerdem Menschen, die mitmachten – etwa private Investoren, die Eigeninitiative zeigen, sich beispielsweise in den sogenannten BID´s (business improvement districts) engagierten. „Stadt braucht Unruhe, Veränderung, frische Ideen,“ so der Planer. Und gute Stadtplanung brauche Kontinuität, Qualität und Langfristigkeit – dass die Zyklen von Planung und Politik dabei häufig nicht kongruent seinen, impliziere Probleme.

Dem Zufall eine Strategie entgegensetzen

Unsere Städte fransen aus – aktuell unterlägen nur etwa 2 % der weltweiten Entwicklungen, die stattfinden einer Planung, stellte Prof. Wulf Daseking fest. Stadtplanung muss in seinen Augen dem Zufall eine Strategie entgegensetzen, zerrissene Außenbereiche der Städte verhindern, sich von der verkehrsmäßig gesteuerten Stadt – als Beispiel nennt er Los Angeles oder Dubai – verabschieden, den verantwortungsvollen und vernünftigen Umgang mit Energie, Ressourcen, Wasser sowie demographische Entwicklungen berücksichtigen. Deutschland verliere an Bevölkerung, das habe Auswirkungen auf die Alterspyramide und gleichzeitig auch auf Städtebau und Raumplanung, so Prof. Wulf Daseking: „Die Menschen möchten bis ins Alter in ihren Wohnungen bleiben, die in der Folge alle altersgerecht ausgebaut werden müssen.“ Die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf die Raumordnung sieht er als Konzentration auf die Mitte Deutschlands, auf Städte und Metropolen in attraktiven Ballungsräumen, die zu Lasten von Randgebieten im Osten, Westen und Norden gingen. Wie können auch durch diese Entwicklung benachteiligte Städte ihre Attraktivität steigern? „Städtische Räume sollen zum Aufenthalt einladen,“ so Prof. Wulf Daseking. Die Minimierung des Individualverkehrs sei dabei ein zentrales Anliegen. „Wenn wir den Individualverkehr nach und nach aus innerstädtischen Bereichen verbannen und in der Stadt Raum zur Verfügung haben, der aktuell dem Auto zum Opfer fällt, gewinnen unsere Innenstädte enorm an Wert – auch und insbesondere für eine immer älter werdende Gesellschaft.“

Planungsbeispiele: Quartierentwicklung in Freiburg

„Die Stadt der Zukunft ist dezentral, dicht, durchmischt,“ zeigt sich Prof. Wulf Daseking überzeugt. Und unterstrich diese These im zweiten Teil seines Vortrages mit konkreten Fallbeispielen aus Freiburg im Breisgau, die er als Leiter des dortigen Planungsamtes zwischen 1984 und 2012 aktiv mitgestaltete. „Den neuen Stadtteil Rieselfeld für etwa 12500 Einwohner zu planen und zu bauen wurde nach intensiver gemeinderätlicher Diskussion in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verabschiedet,“ schilderte der Planer. Entscheidende Faktoren bei der Entwicklung des Quartiers waren der intensive Zuwachs an Bevölkerung und der damit verbundene Bedarf an zusätzlichem Wohnraum für Normalverdiener und für jüngere Familien. Die Ölkrise von 1973 sowie das Atomunglück in Tschernobyl 1986 führten zu einer Ressourcen schonenden Planung in Hinblick auf Boden, Wasser, Energie, Verkehr und Klima. Darüber hinaus wurde ein richtungsweisendes Sozial- und Beteiligungskonzept in die Planung integriert. Die Finanzierung der Gebietes erfolgte ausschließlich durch einen Verkauf der Grundstücke. „Das Finanzierungsmodell des Rieselfelds lief darauf hinaus, dass die Stadt mit einer Zero-Kalkulation ausgekommen ist – die städtebauliche Kalkulation wurde von einem Kostencontroller überwacht.“

Das Ergebnis sieht Prof. Wulf Daseking als richtungsweisendes Beispiel einer dezentralen Stadtentwicklung, die den Anforderungen des Leitbildes der Stadt der kurzen Wege überzeugend entspricht.

Dass der öffentliche Nahverkehr ein extrem wichtiges Steuerungssystem der Stadtentwicklung darstellt, zeigte der Dozent mit dem Planungsbeispiel ‚Vauban-Gelände‘ auf, bei dessen Umgestaltung vom Kasernengelände zum Wohnquartier völlig verkehrsfreie Sektoren geschaffen wurden. „1989 konnte das rund 38 Hektar große ehemalige Militärgelände von der Stadt Freiburg gekauft werden, um ein neues Stadtquartier für 5500 Einwohner zu realisieren. Dabei sollte insbesondere mit dem Boden, der Energie, dem Wasser und dem Verkehr richtungsweisend umgegangen werden,“ fasste Prof. Wulf Daseking zusammen. „Ziel war es, ein ‚buntes‘ Quartier mit sehr differenziertem Wohnungsangebot energiereduziert und nahezu autofrei zu realisieren.“ Eine zentrale Straßenbahntrasse erschließt das Quartier, in dem ein Drittel der Bewohner jünger sind als 17 Jahre, die Hälfte das Fahrrad benutzt und Kinder in zahlreichen Spielstraßen Vorrang haben. Vauban gelte weltweit als Vorzeigestadtteil einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung und Stadtplanung und wurde unter anderem auf der Weltausstellung 2010  in Shanghai präsentiert.

Als weiteres Planungsbeispiel stellte Prof. Wulf Daseking die Aufwertung des Freiburger Bahnhofsviertels vor. Mit den Überlegungen Mitte der 1980er Jahre den Hauptbahnhof neu zu bauen und sein Umfeld städtebaulich neu zu ordnen, wurde im Sinne einer ganzheitlichen Planung entschieden, das Gebiet hinter dem Bahnhof durch gezielte Wohnumfeldmaßnahmen und punktuelle Neubauten städtebaulich aufzuwerten und zu stabilisieren. Dafür wurden Verkehrsflächen zugunsten der Fußgänger minimiert, Straßen und Plätze gestaltet, Platzräume und Grünflächen geschaffen, Zugänglichkeiten und Erreichbarkeiten durch eine ÖPNV-Brücke verbessert. „Heute gilt das Quartier als einer der lebenswertesten Stadtteile Freiburgs,“ so der Dozent. „Es weist Dichte, Nähe und Abstand, Freiräume, Vielfalt, Angebote unterschiedlichster Wohnformen, Parzellenstruktur, Nutzungsmischung, Farbigkeit, Gestaltqualität, Erreichbarkeit auf – als buntes Quartier mit hoher Akzeptanz. Das Leitbild der ‚Stadt der kurzen Wege‘, der ‚Stadtentwicklung entlang des ÖPNV‘. der ‚Nutzungsmischung‘ sowie der ‚Gestaltqualität‘ wurde hier beispielhaft umgesetzt und das Ergebnis mit vielen Preisen ausgezeichnet.“

Der öffentliche Raum als Gesicht der Stadt

„Strassen und Plätze mit den daran angrenzenden Gebäuden bilden den öffentlichen Raum und sind das Gesicht einer Stadt,“ so Prof. Wulf Daseking. Parzellenstruktur, Architekturvielfalt, Topographie und ortsspezifische Besonderheiten seien dabei wichtige Faktoren, durch die Unverwechselbarkeiten und somit das Gefühl von Verortung und Heimat entstünden. Die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums sieht der Planer kritisch – und sprach sich zum Abschluss seines facettenreichen Vortrags für eine ruhige, unaufgeregte Gestaltung von Plätzen aus, bei der vorhandene Materialien gesichert und wieder verwendet werden, die Natur in Teilen Einzug halten darf und Anliegen sowohl von Finanzierern, Gestaltern und Bürgern berücksichtigt werden.

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